Sonntag, 22. Februar 2015

Was ist Liebe?

von Erich Fromm 

Kann man Liebe haben? Wenn man das könnte, wäre Liebe ein Ding, eine Substanz, mithin etwas, was man haben und besitzen kann. Die Wahrheit ist, dass es kein solches Ding wie "Liebe" gibt. "Liebe" ist eine Abstraktion; vielleicht eine Göttin oder ein fremdes Wesen, obwohl niemand je diese Göttin gesehen hat. In Wirklichkeit gibt es nur den Akt des Liebens. Lieben ist ein produktives Tätigsein, es impliziert, für jemanden (oder etwas) zu sorgen, ihn zu kennen, auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, sich an ihm zu erfreuen - sei es ein Mensch, ein Baum, ein Bild, eine Idee. Es bedeutet, ihn (sie, es) zum Leben zu erwecken, seine Lebendigkeit zu steigern. Es ist ein Prozess, der einen erneuert und wachsen lässt. Wird Liebe aber in der Weise des Habens erlebt, so bedeutet dies, das Objekt, das man "liebt", einzuschränken, gefangen zu nehmen oder zu kontrollieren. Eine solche Liebe ist erwürgend, lähmend, erstickend, tötend statt belebend. Was als Liebe bezeichnet wird, ist meist ein Missbrauch des Wortes, um zu verschleiern, dass in Wirklichkeit nicht geliebt wird.


Gute Nacht!

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