von Arthur Schopenhauer
Alle Befriedigung, oder
was man gemeinhin Glück nennt, ist eigentlich und wesentlich immer nur
negativ und durchaus nie positiv. Es ist nicht eine ursprünglich und von
selbst auf uns kommende Beglückung, sondern muß immer die Befriedigung
eines Wunsches seyn. Denn Wunsch, d. h. Mangel, ist die vorhergehende
Bedingung jedes Genusses. Mit der Befriedigung hört aber der Wunsch und
folglich der Genuss auf. Daher kann die Befriedigung oder Beglückung nie
mehr seyn, als die Befreiung von einem Schmerz, von einer Noth: denn
dahin gehört nicht nur jedes wirkliche, offenbare Leiden, sondern auch
jeder Wunsch, dessen Importunität unsere Ruhe stört, ja sogar auch die
ertödtende Langeweile, die uns das Daseyn zur Last macht. – Nun aber ist
es so schwer, irgend etwas zu erreichen und durchzusetzen: jedem
Vorhaben stehen Schwierigkeiten und Bemühungen ohne Ende entgegen, und
bei jedem Schritt häufen sich die Hindernisse. Wann aber endlich Alles
überwunden und erlangt ist, so kann doch nie etwas Anderes gewonnen
seyn, als daß man von irgend einem Leiden, oder einem Wunsche, befreit
ist, folglich nur sich so befindet, wie vor dessen Eintritt. –
Unmittelbar gegeben ist uns immer nur der Mangel, d. h. der Schmerz. Die
Befriedigung aber und den Genuss können wir nur mittelbar erkennen,
durch Erinnerung an das vorhergegangene Leiden und Entbehren, welches
bei seinem Eintritt aufhörte. Daher kommt es, daß wir der Güter und
Vortheile, die wir wirklich besitzen, gar nicht recht inne werden, noch
sie schätzen, sondern nicht anders meynen, als eben es müsse so seyn:
denn sie beglücken immer nur negativ, Leiden abhaltend. Erst nachdem wir
sie verloren haben, wird uns ihr Werth fühlbar: denn der Mangel, das
Entbehren, das Leiden ist das Positive, sich unmittelbar Ankündigende.
Daher auch freut uns die Erinnerung überstandener Noth, Krankheit,
Mangel u.dgl., weil solche das einzige Mittel die gegenwärtigen Güter zu
genießen ist. Auch ist nicht zu leugnen, daß in dieser Hinsicht und auf
diesem Standpunkt des Egoismus, der die Form des Lebenwollens ist, der
Anblick oder die Schilderung fremder Leiden uns auf eben jenem Wege
Befriedigung und Genuss giebt.
Gute Nacht!
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