von Karl Popper
Dass es so etwas
wie eine absolute Wahrheit gibt, und dass wir dieser Wahrheit näher
kommen können, ist die Grundüberzeugung der Aufklärungsphilosophie, im
Gegensatz zum historischen Relativismus der Romantik.
Aber der
Wahrheit näher zu kommen ist nicht leicht. Es gibt nur einen Weg, den
Weg durch unsere Irrtümer. Nur aus unseren Irrtümern können wir lernen;
und nur der wird lernen, der bereit ist, die Irrtümer anderer als
Schritte zur Wahrheit zu schätzen; und der nach seinen eigenen Irrtümern
sucht, um sich von ihnen zu befreien.
Die Idee der Selbstbefreiung
durch das Wissen ist also nicht etwa dasselbe wie die Idee der
Naturbeherrschung. Es ist vielmehr die Idee einer geistigen
Selbstbefreiung vom Irrtum, vom Irrglauben. Es ist die Idee einer
geistigen Selbstbefreiung durch die Kritik an den eigenen Ideen.
Wir
sehen hier, dass die Aufklärung den Fanatismus und den fanatischen
Glauben nicht aus bloßen Nützlichkeitsgründen verurteilt; auch nicht
weil sie hofft, dass wir mit einer nüchterneren Einstellung in der
Politik und im praktischen Leben besser weiterkommen. Die Verurteilung
des fanatischen Glaubens ist vielmehr eine Folge der Idee einer
Wahrheitssuche durch die Kritik unserer Irrtümer. Und diese Selbstkritik
und Selbstbefreiung ist nur in einer pluralistischen Atmosphäre möglich, das heißt in einer offenen Gesellschaft, die unsere Irrtümer und viele andere Irrtümer toleriert.
So
enthielt die Idee der Selbstbefreiung durch das Wissen, die die
Aufklärung vertrat, von Anfang an auch die Idee, dass wir lernen müssen,
uns von unseren eigenen Ideen zu distanzieren, statt uns mit unseren
Ideen zu identifizieren. Die Erkenntnis von der geistigen Macht der
Ideen führt zu der Aufgabe, uns von der geistigen Übermacht falscher
Ideen zu befreien. Im Interesse der Wahrheitssuche und der Befreiung vom
Irrtum müssen wir uns dazu erziehen, unsere eigenen Ideen ebenso
kritisch betrachten zu können wie die Ideen, gegen die wir kämpfen.
Gute Nacht!
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