Dienstag, 26. November 2013

Über die Sprache

von Robert Musil

»Blech reden« ist ein mit Genie erfundenes Wort. Es enthält: das Glänzende, das nicht Gold ist; den durchdringend unangenehmen Klang; das Lebhafte, das Auswalzbare. Würde man »Blech schreiben« sagen, wie viele wichtige zeitgenössische Erscheinungen ließen sich damit erklären! Aber der Gebrauch dieses Worts ist in Abnahme begriffen. Irgendwann wird es wie »Aar« und »hehr« sein. Spätere Schriftstellergenerationen werden dann in Festreden sagen: »Die Väter haben Blech geschrieben«, und ein ungläubiger Schauer wird die Zuhörer ergreifen.
Warum kann die Sprache solche vollendeten Bildungen nicht festhalten? Wie man für alles Häßliche ein schmeichelhaftes Wort hat, nennt man dieses Sterben das Leben der Sprache. Also warum lebt die Sprache? Sie ist dabei doppelt so umständlich und lang geworden, als sie es vor einigen Jahrhunderten war, ohne dementsprechend an Ausdrucksfähigkeit zu gewinnen. Wir lassen die Artikel weg, wir lassen Zeitworte weg, wir lassen die Bedeutung weg; wir treten ihr vorne auf den Kopf und hinten auf den Schwanz, aber es nutzt nichts mehr, sie wird immer länger. Wir fühlen deutlich, daß sie immer häßlicher wird, ohne es ändern zu können. Es gibt da etwas, das wir beklagen, aber offenbar trotzdem unausgesetzt tun. Wenn irgend etwas ein Hundeleben heißen darf, so ist es das der Sprache!
Ich habe unlängst eine Hundeausstellung besucht, und dabei sind mir einige ihrer Teilnehmer aufgefallen, die verblüffend genau der Vorstellung entsprachen, die ich mir zeitlebens von dem Begriff »Köter« gemacht habe. Man nennt wohl so etwas, das vorn wie ein Windhund aussieht und hinten wie ein Dackel, rechts wie ein Bulldogg und links wie ein Terrier, eine »Promenadenmischung«.
Von solcher Rasse ist entwicklungsgesetzlich auch die menschliche und namentlich die deutsche Sprache. Die Sprachen der Kanzleien, der Zeitungen, der Studenten, der Gauner, der benachbarten Völker, der katholischen Kirche und des Römischen Imperiums haben im Guten wie im Schlechten ihre Spuren darin hinterlassen, und wenn man schon gegen das Gute nichts einwenden darf, warum tut man es dann nicht wenigstens gegen das Böse? Die berühmten Entwicklungsgesetze sagen uns leider, daß man es gegen das Böse am wenigsten tut. Aber auch die Sprachgewohnheiten sind Gewohnheiten; und warum nimmt man also mit besonderer Vorliebe schlechte Gewohnheiten an? Da mündet die Sprache, die dem Menschen aus dem Mund kommt, wieder in ihn und fährt von ihrer Ausgangsstellung einwärts bis an Herz und Nieren.
Denn die Vorliebe für schlechte Gewohnheiten ist ein bestimmter Grad des Vertrauens in die Aufgaben der Menschheit. Man nimmt sie an, weil der, der sie hat, das große Wort führt. Weil er imponiert. Weil sie Mode sind. Weil man sie täglich sieht und hört. Weil sie bequem sind und man selbst nicht gern nachdenkt. Aber in erster Linie nimmt man sie wohl doch nur deshalb an, weil sie eben keine guten sind. Wir fühlen uns erst, wenn wir uns recht schlecht aufführen, einigermaßen sicher, daß wir uns nicht geziert betragen.

Gute Nacht!

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