von Kurt Tucholsky
Manchmal, wenn das Telefon nicht ruft,
wenn keiner etwas von dir will, nicht einmal du selber, wenn die
Trompeter des Lebens pausieren und ihre Instrumente umkehren, damit die
Spucke herausrinnt ... dann horchst du in dich. Und was ... dann ist da
eine Leere –
Dann ist da gar nichts. Die Geräusche schweigen; nun
müsste doch das Eigentliche in dir tönen ... es tönt nicht. Horche, dass
sich dir die Stirn zusammenzieht – vielleicht ist es gar nicht da, das
Eigentliche? Vielleicht ist es gar nicht da. Überfüttert mit Geschäften,
Besorgungen, mit dem Leben, wie? Und das Fazit? Leere – Der Herr
sollten sich wieder mal verlieben! Der Herr sollten nicht so viel
rauchen! Schlecht geschlafen, was? ... Die Witze rinnen an dir ab; das
ist es alles gar nicht. Leer, leer wie ein alter Kessel – es schallt,
wenn man dran bumbert ...
Das wäre ja wohl der Moment, in den
Schoß von Mütterchen Kirche zu krabbeln. Nein, diesem Seelenarzt trauen
wir nicht mehr recht – wir wissen zu viel von ihm: wie er das macht, wie
das funktioniert ... ein Arzt muss ein Geheimnis haben. Das da ist wohl
nichts für uns.
Aber die Indikation Gebet ist zutreffend. Was
hast du? Lebensangst? Todesangst hast du. Auf einmal ist es aus, auf
einmal wird es aus sein. »Ich werde mir doch sehr fehlen«, hat mal einer
gesagt. Ja, Todesangst und dann das Gefühl: Wozu? Warum das alles? Für
wen? Gewiss, im Augenblick, wenn du nichts zu fressen hast, dann wirst du
schon herumlaufen und dir was zusammenklauben, aber so ein echter,
rechter Lebensinhalt dürfte das wohl nicht sein. Du hast dir zu viel
kaputt gedacht, mein Lieber. Du probierst den Altarwein, du berechnest
die Ellen Tuch, die an der Fahnenstange flattern, du liest die Bücher
von hinten und von vorn ... Gott segne deinen Verstand.
Dann
wirst du langsam älter; wenn das Gehirn nicht mehr so will, setzt eine
laue Stimmung ein, die sich als Gefühl gibt. Du siehst den kleinen
Tierchen nach, wie sie im Sande krauchen, Gottes Wunder! du blickst auf
deine eignen Finger, jeder eine kleine Welt, ein Wunder an Gestaltung
auch sie, es lebt – und du weißt gar nicht, was das ist ... Und dann
noch einmal: Aufstand, große Aufrappelung, heraus da, vergessen!
Vergessen
und zu Ingeborg kriechen wie ein Söhnlein zurück in der Mutter Leib;
noch einmal: »Hallo, alter Junge! Na, auch da? – Heute abend? aber
gewiss! Wohin? Zu den Mädchen – hurra!« Noch einmal: so ein dickes Buch
und die halbe Bibliothek verschlungen, versaufen in Büchern ... noch
einmal die ganze Litanei von vorn. Nur mit diesem unterkietigen Gefühl
als Grundbass: Vergebens, vergebens, vergebens.
»Jede Zeit«,
lautet der flachste aller Gemeinplätze, »ist eine Übergangszeit.« Ja.
Dass doch einer aufstände und an die Laterne brüllte: dass er nicht mehr
mitmachen will – und dass es ein Plunder ist, ein herrlicher, und dass
es anders werden soll – und dass nicht die Dinge regieren sollen,
sondern der Mensch ... ach, du grundgütiger Himmel. Da – hier haben Sie
einen philosophischen Sechser: Jedes Leben ist ein Übergang – von der
Geburt an bis zum Tode. Machen Sie sich dann einen vergnügten
Lebensabend ...
Wieviel tun wir, um diese Leere auszufüllen! Wer
sie ausfüllt und noch ein Meterchen drüber hinausragt, der ist ein
großer Mann. Wo einer seinen Kopf hat, hoch oben in den Wolken –: das
besagt nicht viel. Aber wo er mit den Füßen steht, ob auf der flachen
Erde oder tief unten ... das zeigt ihn ganz. Und wer dann noch lachen
kann, der kann lachen.
Gute Nacht!
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