von Hermann Hesse
Sie spüren in mir
etwas wie einen Glauben, etwas was mich hält, eine Erbschaft von
Christentum teils, teils Humanität, die nicht bloß anerzogen und nicht
bloß intellektuell fundiert ist. Damit hat es seine Richtigkeit, nur
könnte ich meinen Glauben nicht formulieren, je länger, je weniger. Ich
glaube an den Menschen als an eine wunderbare Möglichkeit, die auch im
größten Dreck nicht erlischt und ihm aus der größten Entartung
zurückzuhelfen vermag, und ich glaube, diese Möglichkeit ist so stark
und so verlockend, daß sie immer wieder als Hoffnung und als Forderung
spürbar wird, und die Kraft, die den Menschen von seinen höhern
Möglichkeiten träumen läßt und ihn immer wieder vom Tierischen wegführt,
ist wohl immer dieselbe, einerlei ob sie heut Religion, morgen Vernunft
und übermorgen wieder anders genannt wird. Das Schwingen, das Hin und
Her zwischen dem realen Menschen und dem möglichen, dem erträumbaren
Menschen ist dasselbe, was die Religionen als Beziehung zwischen Mensch
und Gott auffassen.
Dieser Glaube an die Menschen, das heißt daran,
daß der Sinn für Wahrheit, das Bedürfnis nach Ordnung dem Menschen
innewohnt und nicht umzubringen ist, hält mich über Wasser. Ich sehe im
übrigen die heutige Welt wie ein Irrenhaus und ein schlechtes
Sensationsstück an, oft bis zum tiefsten Ekel degoutiert, aber doch so
wie man Irre und Besoffene ansieht, mit dem Gefühl: wie werden die sich
schämen, wenn sie eines Tages wieder zu sich kommen sollten!
Gute Nacht!
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