Sonntag, 15. Januar 2017

Vom Arbeiten

von Ludwig Hohl

Der Mensch lebt nur kurze Zeit.
Verhängnisvoll ist, sich einzubilden – genauer: die kindische Einbildung zu bewahren -, daß wir lange leben. Alles würde, wenn
wir bei Zeiten von der Kürze unseres Lebens wüßten, sehr geändert sein.
Nun sieht unser Leben von der Kindheit aus gesehen freilich lang aus; von seinem Ende aus unerhört kurz; welches ist seine reale Dauer? Sie hängt davon ab, wie oft und von wie früh an du dein Leben als kurz betrachtet hast. (Denn nicht die Uhr mißt die Länge eines Lebens; sondern das, was drin war.)
Alles, was wir handeln, muß, wenn es Wert haben soll, vom Betrachtungspunkt der Kürze unseres Lebens aus gehandelt sein.
Stehen wir nicht da, so werden wir, auch wenn wir scheinbar tätig sein sollten (äußere Gewalten treiben uns zumeist zu einer scheinbaren Tätigkeit und lassen uns ihr nicht mehr entrinnen), vorwiegend in immerwährender Erwartung leben; stehst du aber da, so willst du vor allem andern selber rasch noch etwas tun (- und mit einem ganz andern Ernste, als jenes Tun geschieht, in dem dich fremde, äußere Mächte gefangen halten). Es ist aber etwas tun und solches Tun – eigenes Tun, zu dem dich nicht fremde äußere, sondern innere Gewalten nötigen -, das einzige, was Leben gibt, was retten kann.
Solches Tun nenne ich Arbeiten.
Wir erinnern uns vielleicht noch an das Wort, das ein berühmter Greis über den Verlauf des Lebens geäußert hat: man werde nur älter, nicht weiser. Kann es uns verwundern, dass eben der Greis Hamsun solches herausfinden muss? Wir werden der Meinung dieses großen Lyrikers das Wort eines dritten Greises gegenüberstellen, der ganz gewiss kein geringerer Lyriker war als Hamsun und ganz gewiss ein größerer Geist: "Es wäre nicht der Mühe wert, 70 Jahre alt zu werden, wenn alle Weisheit der Welt Torheit wäre vor Gott." (Goethe)
Dass wir aus dem Leben hinaus in den Tod hinüber nichts mitnehmen können, weiß jeder. Aber wer weiß die ebenso große Wahrheit, dass wir auch ins Leben hinein nichts mitgebracht haben von irgendeinem Wert? Alles, was irgendeiner mitbringen konnte, waren Bedingungen. Die Werte, wenn er welche haben wollte, musste er von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute erzeugen. Denn Werte können nicht aufbewahrt werden, das ist ja eben der Sinn aller Veränderung, die nicht aufzubewahrenden Werte immer wieder gegenwärtig zu machen. Du brennst - die Flamme ist der Wert! Und daher sind jene allein unserer Sympathie würdig, die, obgleich alle Veränderungen umsonst sind, doch die Veränderungen wollen, um das Unveränderliche zu erhalten.


Gute Nacht!

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