von Hugo von Hofmannsthal
Es ist ganz gleich, ob ein Garten klein oder groß ist. Was die
Möglichkeiten seiner Schönheit betrifft, so ist seine Ausdehnung so
gleichgültig, wie es gleichgültig ist, ob ein Bild groß oder klein, ob
ein Gedicht zehn oder hundert Zeilen lang ist. Die Möglichkeiten der
Schönheit, die sich in einem Raum von fünfzehn Schritt im Geviert,
umgeben von vier Mauern, entfalten können, sind einfach unmeßbar. Es
können im Hof eines Bauernhauses eine alte Linde und ein gekrümmter
Nußbaum beisammenstehen und zwischen ihnen im Rasen durch eine Rinne aus
glänzenden Steinen das Wasser aus dem Brunnentrog ablaufen, und es kann
ein Anblick sein, der durchs Auge hindurch die Seele so ausfüllt wie
kein Claude Lorrain. Ein einziger alter Ahorn adelt einen ganzen Garten,
eine einzige majestätische Buche, eine einzige riesige Kastanie, die
die halbe Nacht in ihrer Krone trägt. Aber es müssen nicht große Bäume
sein, sowenig, als auf einem Bild ein dunkelglühendes Rot oder ein
prangendes Gelb auch nur an einer Stelle vorkommen muß. Hier wie dort
hängt die Schönheit nicht an irgendeiner Materie, sondern an den nicht
auszuschöpfenden Kombinationen der Materie. Die Japaner machen eine Welt
von Schönheit mit der Art, wie sie ein paar ungleiche Steine in einen
samtgrünen, dicken Rasen legen, mit den Kurven, wie sie einen kleinen
kristallhellen Wasserlauf sich biegen lassen, mit der Kraft des
Rhythmus, wie sie ein paar Sträucher, wie sie einen Strauch und einen
zwerghaften Baum gegeneinanderstellen, und das alles in einem offenen
Garten von soviel Bodenfläche wie eines unserer Zimmer. Aber von dieser
Feinfühligkeit sind wir noch weltenweit, unsere Augen, unsere Hände
(auch unsere Seele, denn was wahrhaft in der Seele ist, das ist auch in
den Händen); immerhin kommen wir allmählich wieder dorthin zurück, wo
unsere Großväter waren, oder mindestens unsere naiveren Urgroßväter: die
Harmonie der Dinge zu fühlen, aus denen ein Garten zusammengesetzt ist:
daß sie untereinander harmonisch sind, daß sie einander etwas zu sagen
haben, daß in ihrem Miteinanderleben eine Seele ist, so wie die Worte
des Gedichtes und die Farben des Bildes einander anglühen, eines das
andere schwingen und leben machen.
Gute Nacht!
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