Dienstag, 14. Juni 2016

Kinder auf Reisen

von Jean Paul

Über lange Kinderreisen wünscht' ich ein Wort zu sagen. Kurze von einigen Wochen hält man mit Recht für ein Geist und Leib reifendes Versetzen dieser zarten Bäumchen, weil der Tausch der alten düstern Ecken-Enge gegen die luftige Landschaft von Menschen- und Sitten-Wechsel erheitern und befruchten muß. Etwas anderes aber sind Kinderreisen mit Städte-Hausierern und Länderrennern, wenn kleine Wesen die große Tour (durch die Stadt ist schon eine für sie) durch halb Europa machen, auf welcher das jeden Tag versetzte Bäumchen sich übertreibt und erschöpft. Wenn schon Erwachsene von ihrem Länder-Umsegeln gefüllte Köpfe und geleerte Herzen mitbringen, weil das tägliche Laufen durch Kompagnie-Gassen von Menschen mit Spießruten oder doch ohne Bruderküsse zuletzt so erkälten muß, wie das Hofleben tut, worin, wie in einem englischen Tanze, der Tänzer die Kolonne auf- und niederspringt und seine Hand kalt einer jeden gibt: wie muß erst langes Reisen – dem Erwachsenen nur Herbstreif – als Frühlingreif das Kind verwüsten! Langes Zusammenleben mit verbundnen Menschen entwickelt in diesem die Liebewärme; das Einerlei der Menschen, Häuser, Kindheitplätze, ja der Gerätschaften hängt sich geliebt an das Kind und verstärkt, wie eine magnetisch gehaltene Last, das magnetische Anziehen; und so wird in dieser Frühzeit der reiche Magnetbruch künftigen Liebens aufgetan, weil das Kind beinahe alles liebgewinnt, was es täglich sieht – im Dorfe eine leichte Sache –, den Holzhacker der Eltern, die Botenfrau, den alten Peter, der jeden Sonnabend um einen Sonntag bettelt, ja sogar ferne, stundenweit entlegne Honoratiores von Bekanntschaft. Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten. – Nun soll aber statt dergleichen ein Kind auf Reisen gehen – z. B. etwa durch halb Europa – und soll, da man dessen Wohn-Marktflecken samt Einwohnern nicht hinter dem Wagen aufpacken, noch in den Gastzimmern der großen Städte abpacken kann, jeden Tag auf neue Menschen, Stuben, Kellner, Gäste stoßen, an welchen allen das junge Herz aus Zeitmangel nicht zum reifen Ausbruche der Teilnahme kommen kann: – was kann dann aus dem kleinen Wesen werden? Ein Hofmännchen oder Hofweibchen ohne Hof, kühl, hell, fein, matt, satt, süß und schön.


Gute Nacht!

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