Freitag, 31. Juli 2015

Der Bär und die Krähe

von Joseph Franz Ratschky

Ein alter Bär, den die Musik
Des Jagdhorns einst aus seinem Walde jagte,
Erhohlte nach und nach sich von der Angst, und wagte
Hübsch sachte sich nach seinem Hain zurück.
Bey seiner Ankunft war die erste seiner Sorgen,
Sich nach dem Eichbaum umzusehn,
In dessen hohlem Bauch er sich beym kalten When
Des Wintersturmes oft verborgen.
Als er der Eiche nahe kam,
Entdeckt' er mit Verdruss und Gram
Auf einem Zweig ein Nest voll junger Krähen.
Du Metze! fieng er flugs die Mutter an zu schmähen,
Was hast du hier auf meinem Baum zu thun?
Fort! packe dich von dannen ohne Zaudern!
Denn deiner Fratzen stätes Plaudern
Und Zwitschern liesse mich den ganzen Tag nicht ruhn,
Und falls mich auch ihr Lärm nicht molestirte,
So müsst' ich stäts in Sorgen seyn,
Ob deine junge Brut nicht etwan obendrein
Mir auf den Kopf herab hofierte.

Der Bär schloss seine Rede kaum,
So fieng die alte Kräh' ihr Recht auf diesen Baum
Durch manchen Grund vor Meister Petzen
Weitläufig an in's Licht zu setzen.
Doch der erbosste Bär vertrug
Nicht gerne Widerspruch. Er kletterte die Eiche
Hinan mit Brummen, und erschlug
Die junge Brut mit einem Streiche.

Gespornt von Wuth und Rachbegier,
Flog Mutter Krähe nun zum Jäger, und entdeckte
Ihm das verwilderte Revier,
Wo sich der alte Bär versteckte.
Der Jäger wandert' alsobald
Mit seinen Doggen in den Wald,
Und fand den armen Petz in seines Baumes Lücke.
Vergebens sucht der Bär dem Tode zu entfliehn:
Die tapfern Hunde fassen ihn
Erbarmungslos bey der Perücke.

Vertrage dich mit jedermann,
Um niemands Hass auf dich zu laden;
Denn wer dir auch nicht nützen kann,
Kann doch in manchem Fall dir schaden.


Gute Nacht!

Mittwoch, 22. Juli 2015

"In Darwino Veritas"

von Wilhelm Busch

Sie stritten sich beim Wein herum,
Was das nun wieder wäre
Das mit dem Darwin wär gar zu dumm
Und wider die menschliche Ehre.


Sie tranken manchen Humpen aus,
Sie stolperten aus den Türen,
Sie grunzten vernehmlich und kamen zu Haus
Gekrochen auf allen vieren

Gute Nacht!

Samstag, 18. Juli 2015

Lügenmärchen

von Robert Eduard Prutz
Jüngst stieg ich einen Berg hinan,
    Was sah ich da!
Ich sah ein allerliebstes Land,
Der Wein wuchs an der Mauer,
Und dicht am Throne, rechter Hand,
Stand Bürgersmann und Bauer.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
Unterdessen nimmt michs Wunder.

Und weiter stieg ich frisch hinan,
    Was sah ich da!
Kein Leutnant war, kein Fähnrich dort
Und kein Rekrut zu sehen,
Man wußte nicht das kleinste Wort
Von stehenden Armeen.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
Unterdessen nimmt mich's Wunder.

Und weiter frisch den Berg hinan,
    Was sah ich da!
Das ganze liebe Land entlang,
Ins Bad und auf die Messe,
Man reiste frei und reiste frank
Und brauchte keine Pässe.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisiren
    Und Chikaniren?
Unterdessen nimmt mich's Wunder.
 
Und wiederum ein Stück hinan,
    Was sah ich da!
Ein Jeder durfte laut und frei
Von Herzen räsonniren,
Man wußte nichts von Polizei
Und nichts von Denunciren.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisiren
    Und Chikaniren?
    Ohne Spione,
    Denkt Euch nur: ohne?
Unterdessen nimmt mich's Wunder.

Und noch einmal den Berg hinan,
    Was sah ich da!
Die Volksvertreter, Mann für Mann,
Da ging's um Kopf und Kragen;
Doch dachte kein Minister dran,
Den Urlaub zu versagen.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisiren
    Und Chikaniren?
    Ohne Spione,
    Denkt Euch nur: ohne?
    Ganz ungenirte
    Volksdeputirte?
Unterdessen nimmt mich's Wunder.

Und immer höher ging's hinan,
    Was sah ich da!
Sah Poesie und Wissenschaft
Mit Lust die Schwingen breiten,
Und die Censur war abgeschafft
In alle Ewigkeiten.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisiren
    Und Chikaniren?
    Ohne Spione,
    Denkt Euch nur: ohne?
    Ganz ungenirte
    Volksdeputirte?
    Freie Autoren
    Ohne Censoren?
Unterdessen nimmt mich's Wunder.
 
Und weiter, weiter, frisch hinan,
    Was sah ich da!
Ich sah die Weisen, Hand in Hand,
Wie sie der Lüge wehrten,
Und wie für Recht und Vaterland
Mitkämpften die Gelehrten.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisiren
    Und Chikaniren?
    Ohne Spione,
    Denkt Euch nur: ohne?
    Ganz ungenirte
    Volksdeputirte?
    Freie Autoren
    Ohne Censoren?
    Die Philosophen
    Nicht hinter'm Ofen?
Unterdessen nimmt michs Wunder.
 
Und immer wieder ging's hinan,
    Was sah ich da!
Im ganzen Lande keine Spur
Von Muckern und von Frommen,
Und Niemand kann durch Beten nur
Ins Ministerium kommen.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisiren
    Und Chikaniren?
    Ohne Spione,
    Denkt Euch nur: ohne?
    Ganz ungenirte
    Volksdeputirte?
    Freie Autoren
    Ohne Censoren?
    Die Philosophen
    Nicht hinter'm Ofen?
    Kein Pietismus,
    Kein Servilismus?
Unterdessen nimmt mich's Wunder.
 
Und nun zum letztenmal hinan,
    Was sah ich da!
Ein Jeder durft' auf eignem Bein
Die ew'ge Wahrheit suchen,
Kein Pfaffe durfte kreuz'ge! schrein
Und von der Kanzel fluchen.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisiren
    Und Chikaniren?
    Ohne Spione,
    Denkt Euch nur: ohne?
    Ganz ungenirte
    Volksdeputirte?
    Freie Autoren
    Ohne Censoren?
    Die Philosophen
    Nicht hinter'm Ofen?
    Kein Pietismus,
    Kein Servilismus?
    Sanfte Theologen –

    Das ist gelogen!

Unterdessen nimmt mich's Wunder.
Gute Nacht!

Montag, 13. Juli 2015

Von der Kürze des Lebens

von Seneca

Ihr lebt, als würdet ihr immer leben; niemals werdet ihr eurer Gebrechlichkeit euch bewusst; ihr habt nicht acht darauf, wieviel Zeit bereits vorüber ist; ihr verschwendet sie, als wäre sie unerschöpflich, während inzwischen gerade der Tag, der irgend einem Menschen oder einer Sache zuliebe hingegeben wird, vielleicht der letzte ist. Ihr fürchtet alles, als wäret ihr nur sterblich; ihr begehrt alles, als wäret ihr auch unsterblich. Wie oft vernimmt man die Äußerung: "Mit dem fünfzigsten Jahre begebe ich mich in den Ruhestand, mit dem sechzigsten mach' ich mich frei von aller amtlichen Tätigkeit." Und wer leistet die Bürgschaft für ein längeres Leben? Wer soll den Dingen gerade den Lauf geben, den du ihnen bestimmst? Schämst du dich nicht, nur den Rest deines Lebens für dich zu behalten und dir für dein geistiges Wohl nur diejenige Zeit vorzubehalten, die sich zu nichts mehr verwenden lässt? Welche Verspätung, mit dem Leben anzufangen, wenn man aufhören muss! Was für eine Torheit, was für ein gedankenloses Übersehen der Sterblichkeit, auf das fünfzigste und sechzigste Jahr alle Heilspläne hinauszuschieben und es sich in den Kopf zu setzen, das Leben zu beginnen an dem Punkte, bis zu dem es nur wenige bringen.


Gute Nacht!

Freitag, 3. Juli 2015

Deutschstunde

von Helmut Lamprecht
"Was will der Dichter damit sagen?"
pflegte unser Studienrat zu fragen.
Meist war er mit unseren Antworten so unzufrieden,
dass wir uns fragten,
warum die Dichter nicht gleich das sagten,
was sie gar nicht sagen wollten.
Gute Nacht!
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