Freitag, 15. August 2014

Erkenntnis und Schönheit

von Friedrich Nietzsche

[Viele] meinen, die Wirklichkeit sei hässlich: aber daran denken sie nicht, dass die Erkenntnis auch der hässlichsten Wirklichkeit schön ist, ebenso dass, wer oft und viel erkennt, zuletzt sehr ferne davon ist, das große Ganze der Wirklichkeit, deren Entdeckung ihm immer Glück gab, hässlich zu finden.


Gibt es denn etwas »an sich Schönes«? Das Glück der Erkennenden mehrt die Schönheit der Welt und macht alles, was da ist, sonniger; die Erkenntnis legt ihre Schönheit nicht nur um die Dinge, sondern, auf die Dauer, in die Dinge; – möge die zukünftige Menschheit für diesen Satz ihr Zeugnis abgeben!
Inzwischen gedenken wir einer alten Erfahrung: zwei so grundverschiedene Menschen wie Plato und Aristoteles kamen in dem überein, was das höchste Glück ausmache, nicht nur für sie oder für Menschen, sondern an sich, selbst für Götter der letzten Seligkeiten: sie fanden es im Erkennen, in der Tätigkeit eines wohlgeübten findenden und erfindenden Verstandes (nicht etwa in der »Intuition«, wie die deutschen Halb- und Ganztheologen, nicht in der Vision, wie die Mystiker, und ebenfalls nicht im Schaffen, wie alle Praktiker).
Ähnlich urteilten Descartes und Spinoza: wie müssen sie alle die Erkenntnis genossen haben! Und welche Gefahr für ihre Redlichkeit, dadurch zu Lobrednern der Dinge zu werden!
Gute Nacht!

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