von Albert Camus
Man
entdeckt das Absurde nicht, ohne in die Versuchung zu geraten,
irgendein Handbuch des Glücks zu schreiben. „Was! Auf so schmalen
Wegen...?“ Es gibt aber nur eine Welt. Glück und Absurdität entstammen
ein und derselben Erde. Sie sind untrennbar miteinander verbunden.
Irrtum wäre es, wollte man behaupten, daß das Glück zwangsläufig der
Entdeckung des Absurden entspringe. Wohl kommt es vor, daß das Gefühl
des Absurden dem Glück entspringt. „Ich finde, daß alles gut ist“, sagt
Ödipus, und dieses Wort ist heilig. Es wird in dem grausamen und
begrenzten Universum des Menschen laut. Es lehrt, daß noch nicht alles
erschöpft ist, daß noch nicht alles ausgeschöpft wurde. Es vertreibt aus
dieser Welt einen Gott, der mit dem Unbehagen und mit der Vorliebe für
nutzlose Schmerzen in sie eingedrungen war. Es macht aus dem Schicksal
eine menschliche Angelegenheit, die unter Menschen geregelt werden muß.
Darin
besteht die ganze verschwiegene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal
gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. Ebenso läßt der absurde Mensch,
wenn er seine Qual bedenkt, alle Götzenbilder schweigen. Im Universum,
das plötzlich wieder seinem Schweigen anheimgegeben ist, werden die
tausend kleinen, höchst verwunderten Stimmen der Erde laut. Unbewußte,
heimliche Rufe, Aufforderungen aller Gesichter bilden die unerläßliche
Kehrseite und den Preis des Sieges. Ohne Schatten gibt es kein Licht;
man muß auch die Nacht kennenlernen. Der absurde Mensch sagt Ja, und
seine Mühsal hat kein Ende mehr. Wenn es ein persönliches Geschick gibt,
dann gibt es kein übergeordnetes Schicksal oder zumindest nur eines,
das er unheilvoll und verächtlich findet. Darüber hinaus weiß er sich
als Herr seiner Zeit. Gerade in diesem Augenblick, in dem der Mensch
sich wieder seinem Leben zuwendet (ein Sisyphos, der zu seinem Stein
zurückkehrt), bei dieser leichten Drehung betrachtet er die Reihe
unzusammenhängender Taten, die sein Schicksal werden, seine ureigene
Schöpfung,die in seiner Erinnerung geeint ist und durch den Tod alsbald
besiegelt wird. Überzeugt von dem rein menschlichen Ursprung alles
Menschlichen, ist er also immer unterwegs - ein Blinder, der sehen
möchte und weiß, daß die Nacht kein Ende hat. Der Stein rollt wieder.
Ich
verlasse Sisyphos am Fuße des Berges! Seine Last findet man immer
wieder. Nur lehrt Sisyphos uns die größere Treue, die die Götter leugnet
und die Steine wälzt. Auch er findet, daß alles gut ist. Dieses
Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar
noch wertlos vor. Jedes Gran dieses Steins, jeder Splitter dieses
durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der
Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.
Wir müssen uns
Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Gute Nacht!
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