von Voltaire
Dass der Mensch weder böse
noch als ein Kind des Teufels zur Welt kommt, scheint mir erwiesen. Wenn
seine Natur so beschaffen wäre, würde er Schandtaten und Grausamkeiten
begehen, sobald er laufen könnte, würde das erste beste Messer nehmen,
um jeden umzubringen, der ihm missfiele. Er würde dann notwendigerweise
den jungen Wölfen und Füchsen gleichen, die zubeißen, sobald sie dazu
imstande sind.
In Wirklichkeit hat der Mensch überall auf der Erde
als Kind die Natur eines Lammes. Warum also und auf welche Weise wird er
so oft zum Wolf und zum Fuchs? Nun, er kommt weder gut noch böse zur
Welt, aber die Erziehung, das gute oder schlechte Beispiel, die
Staatsordnung, in die er hineingesetzt wird, kurz, die äußeren Umstände
und Gelegenheiten bestimmen ihn zur Tugend oder zum Verbrechen.
Vielleicht
konnte die menschliche Natur nicht anders sein. Der Mensch konnte nicht
immer falsch und nicht immer richtig denken, er konnte nicht immer zur
Sanftmut und nicht immer zur Grausamkeit neigen.
Es scheint mir erwiesen, dass die Frauen besser sind als die Männer. Auf eine Klytämnestra kommen hundert feindliche Brüder.
Es
gibt Berufe, die das Gemüt notwendigerweise verhärten. Das gilt für die
Soldaten, für die Schlächter, für die Polizisten, für die
Kerkermeister, für alle Berufe, die sich auf das Unglück anderer
Menschen gründen.
[...]Es gibt noch abscheulichere Berufe, die trotzdem begehrt sind wie Domherrnpfründe.
Es
gibt Berufe, die einen anständigen Menschen zum Schurken machen und ihn
wider seinen Willen ans Lügen und Betrügen gewöhnen, ohne dass er es
richtig merkt, die ihn daran gewöhnen, eine Binde vor den Augen zu
tragen, sich durch die Interessen und den Dünkel seines Standes
verblenden zu lassen und die Menschen ohne Gewissensbisse zu verdummen.
Die
Frauen, unablässig mit der Erziehung ihrer Kinder beschäftigt und von
ihren häuslichen Sorgen in Anspruch genommen, sind von all diesen
Berufen, die die menschliche Natur verderben und verrohen,
ausgeschlossen. Sie sind überall weniger roh als die Männer. Das
Körperliche verbindet sich mit dem Moralischen, um die Frauen von
schweren Verbrechen fernzuhalten. Ihr Blut ist sanfter, und sie neigen
weniger zu starken Getränken, die verrohend wirken. Ein klarer Beweis
dafür ist die Tatsache, dass, wie wir an anderer Stelle nachgewiesen
haben, auf tausend Opfer der Justiz, auf tausend Hinrichtungen wegen
Mordes kaum vier Frauen kommen. Ich glaube nicht einmal, dass in Asien
auch nur zwei Frauen wegen Mordes zum Tode verurteilt worden sind.
Es scheint also, dass unsere Sitten und Gebräuche die Männer bösartig gemacht haben.
Wäre
dies allgemein und ohne Ausnahme der Fall, so wäre das männliche
Geschlecht scheußlicher, als es in unseren Augen die Spinnen, die Wölfe
und die Marder sind. Glücklicherweise aber gibt es nur sehr wenige
Berufe, die das Herz verhärten und abscheuliche Leidenschaften in ihm
wecken.
[...]Trösten wir uns mit der Feststellung, dass es von Peking bis La Rochelle immer edle Menschen gegeben hat und geben wird.
Gute Nacht!
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