Sonntag, 9. Oktober 2016

Über die allgemeine Erkenntnis des Menschen

von Blaise Pascal

Die erste Sache, die sich dem Menschen bei einer Selbstbetrachtung darbietet, ist sein Körper, das heißt eine gewisse Masse Materie, die ihm eigen ist. Um aber zu begreifen, was sie sei, muß er sie vergleichen mit allem, was über, und mit allem, was unter ihm ist, damit er seine rechten Grenzen erkenne.

Er bleibe doch nicht dabei stehen, einfach die Gegenstände zu betrachten, welche ihn umgeben; er betrachte die ganze Natur in ihrer ganzen erhabenen Majestät; er beschaue jenes glänzende Licht, welches gleich einer ewigen Fackel das Universum erleuchtet; die Erde erscheine ihm wie ein Punkt, gegenüber dem weiten Umkreis, den dieses Gestirn beschreibt; und er möge darüber erstaunen, daß dieser weite Umkreis selbst nur ein verschwindender Punkt ist gegenüber dem, den die Sterne, die im Firmamente dahinrollen, umfassen.

Wenn aber hier unser Denken stillsteht, so möge die Phantasie weiterschweifen. Sie wird weit eher ermüden auszumalen, als die Natur, Farben darzureichen. Alles, was wir von der Welt sehen, ist nur eine unmerkliche Spur in dem weiten Busen der Natur. Keine Idee reicht an die Ausdehnung ihrer Räume. Wir haben unsere Begriffe gut aufgeblasen, wir schaffen doch nur Atome gegenüber den wirklichen Dingen. Es ist eine unendliche Sphäre, deren Zentrum überall, deren Peripherie nirgends ist. Endlich ist es eins der größten deutlichen Kennzeichen der Allmacht Gottes, daß unsere Phantasie sich in diesem Gedanken verliert.

In sich zurückgekehrt, betrachte der Mensch, was er ist im Verhältnis zu dem, was ist; er erkenne sich als verirrt in diesem abgelegenen Bezirk der Natur; und darnach, wie ihm dieser kleine Kerker, in welchem er wohnt, das heißt diese sichtbare Welt erscheint, lerne er die Erde, die Königreiche, die Städte, sich selbst, seinen wahren Wert schätzen.
[...]
Der Mensch ist nur ein sehr schwaches Rohr der Natur; aber er ist ein denkendes Rohr. Das ganze Universum braucht sich nicht zu bewaffnen, ihn zu zermalmen. Etwas Dampf, ein Tropfen Wasser genügt, ihn zu töten. Aber wenn das Universum ihn auch zermalmt, der Mensch ist doch viel edler als das, was ihn tötet, denn er weiß, dass er stirbt; welchen Vorzug das Universum auch vor ihm hat, das Universum weiß nichts davon. Also besteht all unsere Würde in dem Gedanken.

Daran müssen wir uns wieder aufrichten, nicht am Raum noch an der Dauer. Sorgen wir also dafür, gut zu denken. Das ist das Prinzip der Moral!


Gute Nacht!

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